Der Superlativ oder das Kind in uns
Tödlich – tödlicher – am tödlichsten
Sprachstil: der Superlativ
Er poltert, macht sich wichtig, drängelt sich überall vor und duldet keinen Widerspruch – der Superlativ.
„Ich habe den tollsten Papa der Welt.“
„Und ich habe den aller tollsten Papa der Welt.“
Was ist aber, wenn der aller tollste Papa dem Jungen das Taschengeld kürzt? Kinder drücken ihre Gefühle, allen voran ihre Begeisterung, direkt und nicht durch Schulbildung oder Lebenserfahrung gefiltert aus. Sie lernen die Welt gerade erst kennen und gelangen schnell an die Grenzen ihres Wissens, wo das Reich des Staunens beginnt. Dort erwartet sie der Superlativ mit offenen Armen. Einfach zu bilden, verstärkt er Eindrücke oder transportiert eine Meinung, die nicht erklärt werden muss oder will. In einer Welt des steten Wandels und explodierenden Wissens gibt der Superlativ Halt. Schnörkellos führt er an die äußersten Grenzen des Erfahrbaren, fokussiert darauf und erklärt alles dazwischen als belanglos.
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Der Superlativ in der Werbung
„Bringen Sie mir bitte das Steak und meiner Frau den zweitbesten Fisch!“, heißt es in einer Werbung, was die Gattin selbstredend empört. Die beste Wertanlage, die knusprigste Pizza, das spannendste Buch, der lustigste Film, die schönsten Schuhe – wer gibt sich schon mit weniger zufrieden? Der Superlativ vermittelt Wertschätzung. Geld und Aufmerksamkeit sind optimal angelegt. Ein Produkt lässt sich besser verkaufen, je mehr es aus der Masse hervorsticht. Da aber an der äußersten Grenze nur Platz für einen ist, müssen die Konkurrenten beiseite geschoben werden.
Dabei ist der Superlativ überraschend flexibel. Es gibt zwar nur ein höchstes Gebäude der Welt (Burj Khalifa in Dubai, 828 Meter hoch, Stand 2025), aber vermutlich Tausende schönste Strände. Im ersten Fall beschreibt der Superlativ das Substantiv quantitativ und muss sich dabei einer nachprüfbaren Wirklichkeit stellen, weswegen er in dieser Form nur sehr behutsam in der Werbung eingesetzt wird.
„Die wohl längste Praline der Welt“, heißt es in einer Reklame, die einen simplen Schokoriegel zur Praline aufwertet.
In der Werbung geht es jedoch nicht um Fakten, sondern um Gefühle, Erwartungen und Sehnsüchte, die gar nicht erst überprüft werden wollen. Niemand rechnet ernsthaft damit, dass die Gänsekeule mit Rotkraut und Kartoffelknödel, die man in wenigen Minuten aus der Mikrowelle holt, so schmackhaft aussieht wie auf der Verpackung abgebildet. Dennoch greift der schmachtende Kunde gierig danach.
„Das weißeste Weiß“, „die praktischste Küchenmaschine“, „das beliebteste Auto“ – bei der unüberschaubaren Produktvielfalt tritt der Superlativ an die Stelle des Wissens und vermittelt das beruhigende Gefühl, mit dem beworbenen Produkt die beste Wahl getroffen zu haben.
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Der Superlativ in den Medien
„In Deutschland leben rund 250 Milliardäre.“ Eine Nachricht, sachlich, nüchtern und so langweilig, dass sie einem im besten Fall ein Schulterzucken abringt. Kommt sie jedoch mit einem Superlativ im Gepäck daher, reißt sie die Tore der Aufmerksamkeit sperrangelweit auf. „In Deutschland, einem der ärmsten Länder der EU, leben rund 250 Milliardäre.“
Nachrichten müssen wie Produkte an den Mann oder die Frau gebracht werden. Ein Krankheitserreger, über den berichtet wird, gehört in der Regel zu den gefährlichsten und ein Entwicklungsland zu den ärmsten Ländern der Erde. Und wer Zweifel hegt, dass Deutschland zu den ärmsten Ländern der EU gehört, sollte sich vor Augen führen, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Luxemburg bei 126.000 Euro liegt, in Deutschland bei 50.000 Euro und in Bulgarien, dem ärmsten Land der EU bei 16.000 Euro (Stand 2024). Deutschland liegt also beträchtlich näher an Bulgarien als an Luxemburg.
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Superlativ: Grammatik sticht Logik
Abgesehen von ein paar unregelmäßigen Formen lässt sich der Superlativ grammatisch verführerisch einfach bilden, indem hinter ein Adjektiv „ste“, „ster“ oder „sten“ gehängt wird (am schönsten, der Schönste, schönster …, schönste …). Nun tragen jedoch nicht wenige Adjektive ihren Superlativ bereits in sich, was im begeisterten Mitteilungsbedürfnis häufig untergeht. Doch selbst diese Adjektive lassen sich grammatisch problemlos steigern, obwohl es dem sensiblen Leser ins sprachlogische Kreuz fährt, sobald er darüber stolpert.
Die „Zeit“ vom 18.12. 2013 beschreibt den Kakapo, einen neuseeländischen Papagei, als den „flugunfähigsten Papagei“ der Welt, obwohl selbst die Rechtschreibkorrektur der Textverarbeitung gegen den Superlativ rebelliert. Dagegen spricht „Wikipedia“ geradezu blass und fade von dem einzigen bekannten flugunfähigen Papagei.
Ein anderes Magazin bezeichnete mal die deutschen Autofahrer als „die rücksichtslosesten Europas“. Im Nationalstolz zutiefst gekränkt, könnte man hier zurecht einwenden, dass wir lediglich „rücksichtslos“ sind, weil die Partikel „los“ bereits die vollkommene, totale, absolute Abwesenheit von etwas markiert. „Namenlos“ oder „arbeitslos“ würde schließlich auch niemand steigern wollen.
Doch nicht nur die absolute Abwesenheit von irgendetwas ist vor dem Superlativ sicher, sondern auch die totale Anwesenheit. Am 7.12.2017 berichtet der Spiegel Online in einem Wissenschaftsartikel von einem nahezu vollständigen Skelett, das aber das „vollständigste“ Skelett eines Frühmenschen sei, das je gefunden wurde. Es gibt jede Menge sinnvolle Verwendungen für den Superlativ, da ist es einfach unbefriedigend, dass keine davon die sinnvollste sein soll. Schließlich ist ein Glas auch erst dann richtig voll, wenn es überläuft.
Und wer glaubt, dass der Tod schlichtweg das Ende des Lebens beschreibt, der wird überrascht sein, dass es neben vielen tödlichen Waffen, selbstverständlich auch die tödlichste Waffe gibt, wie der Stern titelt: „Putin zeigt die tödlichste Nuklearwaffe seit Ende des Kalten Krieges“, wobei noch zu klären wäre, was tödlicher als der Tod sein könnte.
Doch solche Einwände bringt nur ein unverbesserlicher Spielverderber vor, dem es an kindlicher Begeisterungsfähigkeit mangelt. Entspannen wir also, schalten den Fernseher ein und folgen gebannt der Präsentation „der größten Hits aller Zeiten“, „der 25 emotionalsten TV-Momente“ oder „der 100 nervigsten Deutschen“ und spekulieren uns bis ins große Finale!
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Der Superlativ in der Literatur
Am wohlsten fühlt sich der Superlativ im Reich des Staunens, sprich in der Literatur. Ganz gleich, ob es um die schönste Frau des Königreichs im Märchen geht, den tapfersten aller Ritter in der Fantasy-Geschichte, den cleversten Kommissar im Krimi oder ironisch um den anständigsten Lumpenhund – der Superlativ öffnet dem Leser Leerstellen, die er mit seiner Phantasie füllen kann, so dass sich die Figuren wundersam in seinen individuellen Erfahrungshorizont schmiegen. Indem der Superlativ Gefühle verstärkt („es war der aufregendste Tag seines Lebens“, „es war der gefährlichste Job seines Lebens“), schafft er Nähe zwischen dem Leser und den Figuren. In der Dichtung ist eben alles erlaubt und so verzeiht man auch einem Franz Kafka gern „das größte und zugleich das aussichtsloseste Verfahren, das je geführt wurde“.