Burg Rodenstein und die Sage vom Geisterheer

eine Gruselgeschichte aus dem Odenwald

Eine gruselige Geschichte aus dem Odenwald über den sagenhaften Ritter von Rodenstein und sein Heer der Untoten, das nachts durch die Lüfte scheppert.
Ritter bei Vollmond in den Bergen

Der Ritter und sein Fluch

Ein junger Offizier reitet nach Reichelsheim, weil er den Erzählungen über einen verfluchten Ritter nachgehen soll. Ein einäugiger Soldaten führt ihn um Mitternacht hinaus zu der verwunschenen Burg, denn heute soll der Rodensteiner wieder aus seinem irdischen Grab in die Lüfte aufsteigen und sein Heer der Untoten durch den Odenwald treiben.

Die Geschichte ist im Mai 2023 in der Anthologie "Regionale Schlossgeschichten" im net-Verlag erschienen.
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Burg Rodenstein und die Sage vom Geisterheer

Der Fremde schlug mit seinem Hut den Schnee vom Mantel und streifte den Schlamm an der ausgetretenen Stufe von seinen Sohlen. Drinnen, hinter den beschlagenen Fenstern, die ins braune Fachwerk eingelassen waren, stießen die Männer mit ihren Krügen an und lachten. Der Fremde öffnete die Holztür und trat in die Wirtsstube.

Die Köpfe fuhren herum und die lebhaften Erzählungen verliefen sich in einem raunenden Flüstern. Die Bauern musterten ihn argwöhnisch aus kleinen Augen unter buschigen Brauen hinweg. Die Haare wild, die Gesichter mit ledriger, von der Sonne und dem Wetter gegerbter Haut überzogen, die rissigen Hände um ihre Krüge geklammert, nagelten ihn ihre Blicke auf der Schwelle fest. An den Haken neben der Tür dünsteten knielange Filzmäntel den Nebel eines frostigen Abends im Spätherbst in den niedrigen Raum. Es roch nach nassem Laub auf schwerer Erde, nach dem Schweiß, vergossen beim Pflügen und Holz schlagen, und nach dem brennenden Tran in den Öllampen, die mit ihrem schummrigen Licht geisterhafte Umrisse an die Wände warfen. Doch unter den Geruch der harten Arbeit, kaum dass die Nase ihn wittern konnte, mischte sich der heimelige Duft frisch gebackenen Brotes, herb-süßen Apfelweins und malzigen Bieres, das in tönernen Krügen ausgeschenkt wurde.

Etwas abseits hockte ein Mann mit langem Rauschebart allein an einem Tisch und schmauchte eine Pfeife. Der Fremde schritt auf ihn zu. Die abgewetzten, verkratzten Dielen unter seinen Lederstiefeln knarzten. Er deutete auf den freien Stuhl. Der mit dem Bart nickte stumm und sog an seiner Pfeife. Der Fremde legte seinen Mantel ab, bestellte Kochkäse und setzte sich. Der Wirt brachte einen großen Krug Bier und der Fremde goss ihnen beiden ein. Generationen von kräftigen Armen, die in groben Kitteln aus Leinen steckten, hatten die Tischplatte vor ihm speckig poliert. „Was verschlägt den edlen Herrn hierher nach Reichelsheim?“, wollte der Bärtige wissen. Kindischer Aberglaube, von ungebildeten Bauern in die Welt gesetzt, hatte ihn von Frau und Kind hinweg in diese gottverlassene Gegend getrieben. Das Siegel des Grafen von Erbach in seiner Tasche wies ihn als Hauptmann mit besonderen Befugnissen aus, doch er wollte seine Aufgabe hier nicht mit dem militärischen Gehabe eines Offiziers, sondern volksnah lösen. Daher hatte er Muskete und Degen in der Kaserne gelassen und war nur mit seinem Dolch bewaffnet und ohne Eskorte nach Reichelsheim geritten.

„Geschichten um die Burg Rodenstein führen mich zu euch. Man hört manch wundersame Erzählung darüber.“ „Geschichten also ... die Leute hier im Odenwald erzählen sich sehr viele Geschichten.“ Der Bärtige lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ja, im Wald der Oden, in dem einst Siegfried den Drachen tötete, bevor ihn Hagen mit der Lanze durchbohrte, verbarg sich in jedem bemoosten Fels eine verwunschene Seele. Im Lautertal sollen sich dereinst gewaltige Riesen gegenseitig mit Granitblöcken beworfen und dabei ein ganzes Meer aus Felsen aufgeschichtet haben. Hexen ritten auf ihren Besen über die Tromm und die tapferen Bauern von Abtsteinach sollen gar den leibhaftigen Teufel an einen Stein gekettet haben. In dem kargen, rauen Land mit seinen endlosen Wäldern hausten in jedem Baum dämonische Wesen und die Erzählungen darüber, wie sie den Leuten das Überleben noch schwerer machten, als es ohnehin schon war, gediehen wie das Unkraut in den Gemüsegärten.

„Welche Geschichte wollt Ihr denn hören?“ Die tiefe Stimme des Bärtigen glitt plötzlich in einen lauernden Singsang über. „Nun, mir kamen Meldungen über ein Geisterheer zu Ohren, das nachts lärmend und tosend über den Himmel zieht und von einem der Rodensteiner angeführt wird.“ Der Hauptmann hatte die Burg bereits bei Tage inspiziert und gesehen, dass die Mauern zu einem guten Teil abgetragen waren. Die Leute aus den Dörfern rundherum nutzten die Festung wohl als Steinbruch und verbauten die wertvollen Granitsteine in ihren eigenen Häusern. „Ich jedoch halte die Geschichte vom Rodensteiner und seinen untoten Männern für Aberglauben, der erklären soll, wofür das schlichte Gemüt der Menschen keine Erklärung findet“, lockte er den Bärtigen. Der nahm einen tiefen Zug aus seinem Humpen und wischte sich mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen. „Vermutlich ist das so, doch wer weiß das schon?“, wiegte er bedächtig den Kopf. „Was aber, wenn die Wahrheit nicht in den Büchern steht, die Ihr am Erbacher Hof lest, und die Vernunft nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist?“ Der Hauptmann tunkte sein Messer in den Topf, strich eine dicke Schicht Kochkäse auf das Brot, auf die er oben drauf gewürfelte, in Essig und Öl eingelegte Zwiebeln packte, und biss nachdenklich hinein.

Da wurde die Tür aufgestoßen und ein großgewachsener Mann, der in einen weiten, schwarzen Umhang gehüllt war, polterte in die Wirtsstube. Ein paar Schneeflocken wehten mit ihm herein, bevor er die Tür hinter sich zuschlug. Die breite Krempe seines Dreispitz-Hutes tauchte sein Gesicht in einen dunklen Schatten. Eine lederne Klappe bedeckte ein Auge, das andere funkelte furchteinflößend. Das zotige Geplapper der Bauern erstarb und ihre Gesichter erstarrten zu Stein. Der Einäugige schaute über die Schulter zum steinernen Sturz, der die Tür oben rahmte. Dann musterte er die Runde, wobei sich seine Mundwinkel zu einem diabolischen Grinsen verzogen. Die Bauern rutschten auf ihren Stühlen hin und her. Schließlich schritt der Einäugige zum Kaminfeuer, wo er sich auf einen Hocker setzte. Nur zögerlich entspannten sich die Mienen der anderen. Deutlich leiser, fast schon flüsternd, nahmen sie ihre Unterhaltungen wieder auf, wobei sie den neuen Gast argwöhnisch im Auge behielten.

„Vielleicht fragt Ihr Hans von Rodenstein gleich selbst nach seiner Geschichte“, räusperte sich der Bärtige. „Ihr wollt sagen, der Herr dort ist ...?“ „Nein, der da ist weder ein Rodensteiner noch ist er ein Herr“, grinste der Bärtige. „Er ist jedoch aus demselben Holz geschnitzt wie er - einer, den weder Gott noch der Teufel an seiner Seite haben wollen.“ Der Bärtige wies mit einem flüchtigen Fingerzeig zur Tür hinüber. „Dort, im Türsturz, der Kopf, der mittig herausgemeißelt ist, das ist Hans von Rodenstein. Ihn hat der Einäugige gegrüßt, als er hereinkam. Der Stein stammt von der Burg des Ritters.“ Der Bärtige rückte mit seinem Stuhl näher an den Hauptmann heran. „Bis gestern blickte der Rodensteiner noch grimmig in die Stube. Doch seit heute grinst er selbstzufrieden vor sich hin.“ Der Fremde kniff die Augen zusammen. Jetzt erkannte er es auch. „Wie kann das sein?“

„Es heißt, Napoleon schickt seine Armee über den Rhein. Der Rodensteiner weiß immer vor allen anderen, wenn ein neuer Krieg ausbricht - und es scheint, dass es mal wieder an der Zeit ist. Heute Nacht steigt der Rodensteiner mit seinem Geisterheer aus der Erde und warnt die Menschen.“ Der Hauptmann spülte das Brot mit einem Schluck Bier hinunter. „Und Ihr glaubt tatsächlich dieses Märchen vom ewigen Fluch?“ Der Bärtige zuckte mit den Achseln. „Wie kam es überhaupt dazu?“ Der Bärtige kreuzte die Arme vor der Brust und paffte seine Pfeife. „Alles fing mit einer schönen Frau an“, begann er seine Erzählung ...

Ende der Leseprobe

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