Urlaub in Florida
Willkommen im Rentner-Paradies!
Recht ohne Gnade
Ein ruhiges Leben in einem Vorort mit Frau und Tochter - mehr wollte Jeff nicht. Doch dann ziehen die neuen Nachbarn ein und Jeff verliert alles, was ihm lieb und teuer war. Vor Gericht muss er sich wegen eines Verbrechens verantworten, dass er nicht begangen hat - und bekommt dafür die Höchststrafe. Bis zuletzt kämpft er für eine humane Hinrichtung, doch das Gesetz pfeift auf die Menschenwürde. Makaber – surreal – und dennoch näher an der Realität als man meinen mag.Dystopische Kurzgeschichte: Urlaub in Florida
1. Die Verhandlung
Jeff brauchte den Kopf nicht zu heben, denn er wusste auch so, dass ihn alle anstarrten, ganz besonders heute am sechzigsten Tag der Verhandlung.
„Ein Hund! Nur ein Hund!“, fuhr ihn der Staatsanwalt an.
Was wussten sie schon? Caspar war der Einzige, der ihm geblieben war. Er hatte ihn Mandy zum achten Geburtstag geschenkt. An ihrem neunten weinten er und Candice am Grab ihres einzigen Kindes, den Hund an der Leine.
„Wir haben alle gehört, was Sie durchmachen mussten.“
Ein Kinnriemen, vergessen zu schließen, am Stahlhelm eines Fallschirmjägers. Er sollte seinen Kopf schützen. Stattdessen zertrümmerte er den seiner Tochter, aus vierhundert Metern Höhe. Caspar bellte, bis sie Mandy auf der Wiese fanden. „Ein tragischer Unfall“, entschuldigte sich der Kommandant, ein General, die Brust voller Orden.
„Sicher, das Schicksal hat Sie arg gebeutelt und wir fühlen mit Ihnen.“ Der Staatsanwalt schritt vor den Geschworenen auf und ab.
Ein großes Loch im Zaun des Nachbarn. Keine Zeit, es zu reparieren und ein Mähroboter mit Kettenvortrieb, der auch Böschungen erklimmt. Candice döste in der Sommersonne, auf dem Rasen hinter dem Haus, die Taschenbuchausgabe der Fackeln des Schicksals auf der Nase. Zum Glück hatte sie nichts mitbekommen.
Caspar leckte ihre Wange. Der Kopf mit den langen, blonden Locken war ein paar Meter zur Seite gekullert. „Ein tragischer Unfall“, entschuldigte sich der Agent der Versicherung. Den Mäher nahmen sie später vom Markt.
„Nur ein Hund und dieser Mann dort …“ Der Staatsanwalt spießte ihn mit dem Finger auf. „… lässt sich zu einer beispiellosen Bluttat hinreißen.“
Ein kleiner Hund, verspielt. Wenn er nicht gerade die Eichhörnchen auf die Bäume scheuchte, jagte er seinem eigenen Schwanz hinterher. Mit aufgestellten Ohren kläffte er jeden Spaziergänger freundlich an. Der Jeep mit dem Aufkleber des 6. Bataillons der Fallschirmjäger röhrte nebenan in die Einfahrt. Laute Heavy Metal Musik dröhnte von innen gegen die geschlossenen Scheiben. „Ein tragischer Unfall“, entschuldigte sich der Soldat. Die Welt war nicht für kleine Wesen wie Caspar gemacht. Mit ihm hatte Jeffs Leben endgültig den Sinn verloren. Alles, was ihm je etwas bedeutet hatte, weg, in nur einem Jahr. Es war einfach nicht fair.
Die Zeugen waren gehört, Gutachten vorgetragen, seine Fingerabdrücke auf der Pistole – die Fakten lagen auf dem Tisch, das Urteil nur noch Formsache. Nicht einer von denen da glaubte ihm, dass er zum Sterben in die Wohnung des Soldaten eingestiegen war, mitten in der Nacht. Es selbst zu tun, dafür fehlte ihm der Mut. Das Schicksal hatte Jeff verhöhnt, als der Mann mit seiner Familie vor zwei Jahren ins Nachbarhaus zog. Nun konnte dieser es auch erfüllen. Jeff hatte sogar den Fernseher eingeschaltet, damit sie ihn bemerkten.
„Ein hochdekorierter Elitekämpfer sinnlos ermordet, mitsamt seiner geliebten Frau und seinem Sohn.“ Fassungslos schüttelte der Staatsanwalt den Kopf.
Justin, zwölf Jahre alt und ein kleiner Soldat wie sein Vater, wachte zuerst auf. Der Schuss aus der Pistole zischte an Jeff vorbei in den Fernseher und es wurde dunkel. Der Lärm weckte die Mutter und alarmierte den Fallschirmjäger, der in der Homeland Bar sein von einem Einsatz im Nahen Osten importiertes Kriegstrauma mit rustikalem Kentucky Whiskey niedergerungen hatte und sich gerade abmühte, den Schlüssel in die Haustür einzuführen. Gewohnt, hinter feindlichen Linien zu agieren, schlich er sich durch die Küche aufs Schlachtfeld. Weitere Schüsse fielen. Jeff schaltete das Licht ein, um dem ungeübten Schützen die Zielerfassung zu erleichtern. Verstört vom Anblick der toten Eltern auf dem hellen Hochflor-Teppich ließ der Junge die Waffe fallen, aus der sich ein Schuss löste. Eine tragische Verkettung der Ereignisse. Jeff hob die Pistole auf, steckte sie sich in den Mund und drückte ab. Klick! Selbst der Tod narrte ihn. Sein Leben, nichts weiter als ein mieses Theaterstück, das der Richter nun beenden konnte.
Der Mann in der schwarzen Robe sah ihm fest in die Augen. „Zehn mal lebenslänglich. Das Urteil wird kommenden Freitag um sechs Uhr früh in der Haftanstalt vollstreckt.“ Dann drosch er mit dem hölzernen Hammer auf den Sockel und zerschlug Jeffs Hoffnung auf den elektrischen Stuhl.
